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tr  Abenteuer Leica M9, Hamburg

Braucht man das? Eher nein, aber sollte man deshalb darauf verzichten?

geposted am 4. November 2012

 

leicam9

 

Nach diesem elitären Intro folgt nun gleich die grausame Wahrheit: Ich leide an der unter Fotografen weit verbreiteten Krankheit, Diagnose: GAS (Gear Acquisition Syndrome, zu deutsch: haben wollen). Mir ging es lange Zeit gut, aber dann passierte es: Ein Test der Leica M9 löste einen akuten Anfall aus.

Es begann damit, dass ich eine neue kleine Immer-dabei-Kamera erwarb, eine Leica X2. Bis dahin hatte ich zwar schon viel von dieser Marke gehört, aber der angeborene "Finger-weg-teuer-Reflex" hatte mich vor weiteren Annäherungen bewahrt, zumal ich mein latentes GAS ja kenne. Der Besuch im Leica- Store in Berlin jedoch war unumgänglich (wegen der X2) und schon kam die erste Welle des Anfalls.

Eric Kim hat das GAS erforscht und bietet auf seiner Site einige Gegenmittel an, die jedoch bei mir nur vorübergehend Linderung bewirkten:

Link 10 Tips on How to Cure Yourself of GAS (Gear Acquisition Syndrome)

Die Frage, ob man eine M9 braucht, beantwortet man in der Regel nicht. Entweder man hat sie, man hat nichts damit zu tun, oder man sucht die Antworten nach dem Kauf. Jedenfalls verließ ich gestählt den Leica-Store, mit einer nagelneuen kleinen X2 und wusste, dass mir nichts passieren kann, die Droge M9 ist zu teuer. Nebenbei habe ich sicherheitshalber ein Testwochenende mit der M9 vereinbart, nur für den Fall, dass ich überraschend im Lotto gewinnen sollte und dann plötzlich nicht weiß, wohin mit der Kohle. Eine unerträgliche Vorstellung.

Zwei Wochen später sollte es dann soweit sein und da man sich auf so etwas vorbereiten muss, habe ich für das Wochenende davor schon einmal woanders eine M9 ausgeliehen ...

Das Fotografieren mit einer Messsucherkamera hat etwas, was ich aus der Vergangenheit kenne: manuelles fokussieren. Nach kurzer Eingewöhnung war ich wieder drin. Bis auf die Belichtung selbst geht alles schön langsam vonstatten (ein Vorteil für die Zukunft und ein Beitrag zur Entschleunigung), um die Speicherkarte herauszunehmen muss man den Bodendeckel abnehmen usw. Der Datentransfer auf die Speicherkarte und das Auslesen derselben zur Kontrolle der gerade belichteten Aufnahme gereicht meinem Großvater zu Ehren: "Imma mit da Ruhe, Junge, inna Ruhe liecht die Kraft."

Vollformat 24x36 mm bei 18 Mpx ist schon etwas Feines. Die Kamera ist klein, leicht und unauffällig, die Bildqualität hervorragend. Anders als bei meiner D700. Nicht besser, nicht schlechter, einfach anders, im Rendering etwas smoother vielleicht.

Die Testwochenenden hatten beide ein großes Manko, sie endeten ziemlich genau jeweils Montagvormittag beim Händler. Ich war sehr stolz, dass ich ohne Zögern die Kamera zurück gab, ich hatte den GAS-Anfall zweimal überwunden. Kein Wunder, bei den Preisen.

In den folgenden Wochen hatte ich Ruhe. Jedenfalls solange ich alles las, was das Internet über diese Kamera hatte und noch mehr. Kleine Prospektstapel legte ich in der Küche aus, um meine Frau schonend auf meinen eingeschränkten Geisteszustand hinzuweisen: Ich wirkte abwesend, unausgeglichen, gereizt, ohne Aussicht auf eine Zukunft, verzweifelt. Erst stellte ich das Kochen, dann das Abwaschen und schließlich auch noch das Essen ein. Aber ich fühlte mich stark, Anfall abgewehrt. denn die Preisliste lag bei den Prospekten. An die beiden Teufel auf meinen Schultern hatte ich mich längst gewöhnt, der linke rief ständig "Budgetdisziplin", der rechte "ich brauche diese Kamera".

So hätte alles gut werden können, gäbe es nicht das Internet. Ich kannte jeden Preis auswendig, jede ebay-Anzeige wurde getrackt. Und dann war sie da, die Gelegenheit. Hamburg: M9 mit Objektiven. Ein sehr freundlicher Herr K., ungefähr mein Alter, unaufgeregt, wollte einen fairen Preis für sein gebrauchtes Equipment.

Nun, ich bin in Berlin geboren, Berlin ist arm, ich bin es jetzt auch. Berlin ist sexy, ich bin happy. Keine Minute habe ich bereut, die Fahrt nach Hamburg nicht, die Budgetüberziehung nicht (essen und trinken wird meist überbewertet). Und das Wunderbare zum Schluss: Meine Frau behauptet, sie liebe mich immer noch, trotz und mit M9.